6. Oktober – 26. Dezember
KASTEN 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6
ROSMARIE VOGT-RIPPMANN
VERGANGENHEIT – GEGENWART – ZUKUNFT
DIE INSZENIERUNG DER ZEIT IM RAUM
Bildquelle: Brigitte Lattmann
Für die 4. Kunstkasten-Staffel 2019 und gleichzeitig die letzte unter der Regie von Urbansurprise untersucht Rosmarie Vogt-Rippmann die Schnittstelle zwischen Kunst und Architektur. Seit mehr als 40 Jahren schafft die in Schaffhausen geborene, im Aargau lebende Künstlerin ortsspezifische Kunst am Bau, gestaltet auf den Raum bezogene Installationen, konstruiert raumgreifende Objekte. Für Rosmarie Vogt-Rippmanns Schaffen gibt es das Material, den Raum, die Aufgabe. Für ihr Projekt in den Schaffhauser Kunstkästen definiert sie drei weitere Begriffe: Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Die Kunstkästen sieht sie als Bühne im urbanen Raum, auf der sie mit diesen drei Ebenen spielt und ihre ureigene Wahrnehmung der Umgebung inszeniert.
Biografie
1939 geboren in Schaffhausen, lebt und arbeitet in Scherz und Aarau
1957 – 1962 Schule für Gestaltung, Zürich
1965 – 1974 Geburt der Kinder Basil, Kornel, Joachim
1970 – 1976 Kurse an der F + F, Schule für experimentelle Gestaltung, Zürich
seit 1975 freischaffend
1979 – 1981 Lehrerin für Freihandzeichnen und Farbenlehre an der Berufsschule Brugg
1981 – 2001 Dozentin für Wahrnehmen und Darstellen, Architekturabteilung, FHBB, Muttenz
Vergangenheit – Gegenwart – Zukunft
Die Inszenierung der Zeit im Raum
Besuch im Atelier von Rosmarie Vogt Rippmann im September 2019
von Cornelia Wolf
Bilder: Brigitte Lattmann | Cornelia Wolf
Eigentlich sind Rosmarie Vogt-Rippmanns Arbeiten extrem grossformatig. Man kennt ihre Kunst am Bau, ihre riesigen raumbezogenen Installationen und Objekte. Dass sie für die Schaffhauser Kunstkästen kleinformatig wird, ist dennoch kein Ausflug in ein Neuland. In ihrem Atelier im aargauischen Scherz steht ein kleines Kästchen, in welchem sie vor vielen Jahren den Umzug der Familie vom städtischen Zürich aufs Land en miniature dokumentierte. Diese räumliche Reduktion und das in den Raum Hineinschauen-Können hat die Künstlerin damals schon fasziniert – und begeistert sie heute für die Kunstkästen.
Ihre Kunst schafft Rosmarie Vogt-Rippmann stets aus Material, das vorhanden ist: Holzlatten, Metall, Gitter, Papier, Plastik – sie nimmt, was existiert, und stellt die direkte Verarbeitung in den Vordergrund. Es gibt, wie sie selbst sagt, das Material, den Raum, die Aufgabe. Aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren entstehen ihre Werke. Immer wieder recycelt sie Material aus früheren Arbeiten, nicht primär aus ökologischen Gründen, sondern weil sie die Dinge verwandeln möchte. „Ich will das Material verändern, weil auch ich mich über die Jahre verändert habe.“ Sie sieht die Verwandlung als erneute Wertschätzung, als letzten Höhepunkt vor dem Verschwinden. Denn davon geht sie aus: dass ihre Arbeiten eines Tages verschwinden, Vergangenheit sind.
Aus diesem Gedanken heraus ist das Konzept für ihre Kunstkästen entstanden. Rosmarie Vogt-Rippmann sieht die Kunstkästen als Bühne, auf der sie ihre Wahrnehmung der Umgebung inszeniert. Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft sind die Zeitebenen, mit denen sie spielt und in die sie auch ihre Bilder eingeteilt. Schichten, nennt die Künstlerin die dadurch entstehenden Bildebenen. Die oberste Schicht ist der Himmel als Verweis auf die Zukunft. Die mittlere Schicht, die Landschaft, repräsentiert die Gegenwart. Die unterste Schicht beschäftigt sich mit der Vergangenheit. Und diese Vergangenheit verarbeitet die Künstlerin auf besondere, sehr persönliche Weise, indem sie kleinformatige Objekte aus Materialien von früheren Arbeiten in diesen Bildraum hinein platziert.
Mit der Umgebung der Kunstkästen hat sich die Künstlerin eingehend beschäftigt, hat beobachtet, fotografiert und sich in die Geschichte der Örtlichkeiten vertieft. Wirklichkeit und eigene Wahrnehmung aufeinandertreffen zu lassen und das Ganze malerisch und inhaltlich zu abstrahieren, hat sie inspiriert. Die Perspektiven, die Rosmarie Vogt-Rippmann für ihre Bilder einnimmt, sind ungewöhnlich und überraschend. Den Fokus des Betrachters lenkt sie bewusst auf die mittlere Bildebene, die Schicht der Gegenwart. Rosmarie Vogt-Rippmann hat eine kritische Haltung der gebauten Umwelt gegenüber. Vielleicht spielt sie deshalb so gerne mit der Illusion, legt eine Fiktion über die Realität und stimuliert die Vorstellung, wie etwas auch sein könnte.
Der Kunstkasten am Bahnhof spiegelt die Szenerie von gegenüber. Die gelben, vertikalen Zebrastreifen laufen in Vogt-Rippmanns Bild dominant von der Mitte weg und verschwinden zwischen den Häusern wie in einer ferneren, fremderen Variante der Realität. Der schnurgerade Verlauf wird kontrastiert durch die kantig abgewinkelten Metallstücke aus einer früheren Bodenarbeit, welche die Künstlerin als Fragmente der Vergangenheit in diese Bildschicht hinein platziert.
Im Kasten an der Vordergasse wird betont, was allgegenwärtig ist: die Erker. Die Zukunft hängt als als grau-düsteres Wolkengebirge im Bildhimmel und aus der untersten Ebene wachsen Türme aus zusammengerollten kolorierten Papierstreifen, die in einer früheren Boden-Installation in einem ausgeklügelten System offen und wellenförmig so nebeneinander platziert waren, dass sie nicht in sich zusammenfielen. Durch Vogt-Rippmanns eleganten Dreh wird aus Fragilität Stabilität.
Das Bild im dritten Kasten zeigt die Sicht vom Mosergarten in Richtung Vordergasse. Links das markant grüne „Zigarren“-Gebäude, rechts eine perspektivisch übertrieben langgezogene Moosente, über allem ein marmorartig-roter Himmel. Aus der Vergangenheit blüht eine Arbeit auf, die im Original bis vor ein paar Jahren im Garten von Schloss Charlottenfels stand: riesige Löwenzahnblätter aus Metall, die Rosmarie Vogt-Rippmann – nicht ganz ohne Ironie – hier im Kleinformat noch einmal pflanzt.
In den drei Kästen am Rhein erwartet uns zuerst das Bild einer schwebenden Sitzbank unter einer luftigen Metallwolke – für einmal keine Referenz an ein früheres Werk, sie hängt deshalb am bildlichen Zukunfts-Himmel. Dann sehen wir zwischen Eisenbahnbrückenpfeilern eine surreale Häuserzeile über einer filigranen Installation aus recycelten Holzlatten – eine Erinnerung an eine Installation in der Vebikus Kunsthalle. Und zuletzt abstrahiert Vogt-Rippmann die Rheinlandschaft und das gegenüberliegende Ufer und setzt ein Objekt aus teilweise farbigen Holzstäben, die igelartig in einem Drahtgeflecht stecken, in den untersten Bildraum – Fragmente aus einer früheren Ausstellung in Krefeld. Feuerwerk sein oder der Stachel eines Weidlings?
Die collageartigen Bilder von Rosmarie Vogt-Rippmann sind in ihrer Farbigkeit und der Varietät des Farbauftrags vielschichtig, facettenreich und intensiv. Das Spiel mit den Zeitebenen und die poetischen Verweise auf die Vergangenheit sind magisch. Vogt-Rippmanns Kunstkasten-Bühnen ziehen den Betrachter in ihren Bann und machen ihn zum Zuschauer im öffentlichen Raum – und damit gleichzeitig zum Akteur.
Bildquelle: Martin Ulmer