2. Juli – 24. September
KASTEN 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6

MARKUS WEISS
POP-UPS – SECHS TEMPORÄRE STADTBAUTEN

Markus Weiss’ Bauten an der Schnittstelle von Architektur und Kunst laden zum Entdecken neuer Räume
Werkstattgespräch mit Markus Weiss, Zürich, 10. Juni 2017, aufgezeichnet von Isabelle Lüthi

Begehen, besitzen, bespielen, bestaunen soll man die Bauten von Markus Weiss. Sie haben keinen Platz in den Kunstkästen drin – und so ist Weiss der erste Künstler in der Geschichte der Kunstkästen, der nicht in die Kästen hinein, sondern darum herum baut. Er verankert seine Arbeiten an den Kunstkästen und lässt sie in die Stadt hinauswachsen. Hier steht ein Turm, dort ein Baumstumpf; seine Bauten sind teilweise brachial und von einer pragmatischen Ästhetik. Alle setzen sie sich auseinander mit den kulturellen, sozialen und architektonischen Dimensionen eines Ortes und schaffen in gewisser Weise neue Räume – tatsächliche, aber auch vorgestellte. Einmal entsteht ein Ort zum Grillieren, einmal ein ganzer Pétanque-Platz und einmal verdoppelt ein Spiegel den vorhandenen Raum und sein Geschehen. Weiss’ Arbeit bedeutet stets Interaktion mit dem öffentlichen Raum, sie soll die Schwellenangst vor der Kunst nehmen – denn die Kunst ist bei ihm nicht immer im klassischen Sinn als solche erkennbar.
Der Kontakt zum Menschen ist entscheidend für Weiss. Er sucht den Dialog und scheint bisweilen selbst erstaunt, welche Reaktionen seine Arbeit auslöst. Auch seine Werke in den Kunstkästen werden sicherlich nicht ohne Reaktionen bleiben. Sie laden ein zum Entdecken, Verweilen, Nachdenken – oder zum Grillieren.

MARKUS WEISS
(*1963 in Zürich) lebt und arbeitet als Künstler in Zürich. Atelierstipendien führten ihn nach Genua und Paris, zudem wurde er mit verschiedenen Werkstipendien der Stadt und des Kantons Zürich ausgezeichnet. Seine Arbeiten sind in diversen Sammlungen vertreten, seit über zehn Jahren widmet er sich in seinem künstlerischen Engagement dem Öffentlichen Raum. Markus Weiss realisiert regelmässig Kunst-am-Bau Projekte.
http://www.markusweiss.net

Neue Welten tun sich auf
Neben dem Güterhof wirft eine ältere Frau gezielt eine Pétanque-Kugel über den Sandplatz. Weiter vorne beim Kanu-Club grillieren ein paar Leute Vegiburger auf einem Grill direkt oberhalb des Wassers und hören Musik. Nein, hier hat nicht etwa die Stadt vorwärts gemacht in Sachen Rheinuferaufwertung. Vielmehr sind diese Interaktionstreffpunkte temporärer Natur, es sind Markus Weiss’ Stadtmöbel. Oder sein Stadtmobiliar. Die Benennung steht für Weiss noch nicht fest.

Analoge Treffpunkte
Eines stand aber von Anfang fest: Seine Werke werden nicht in den Kunstkästen drin sein. Und trotzdem sind die Kästen ein unverzichtbarer Teil dieser Arbeiten. Sie bilden ihren statischen Anker, von welchem aus sich die Werke ins Urbane hinaus erstrecken. Statt dass sie ein Werk schützend umrahmen, quasi eine Trennwand zwischen BetrachterIn und Werk aufziehen, exponieren sie – in beiderlei Sinn – die Kunst und machen sie so erfahrbar, aber natürlich auch verletzlich. Es ist das, wofür sich Weiss interessiert: der öffentliche Raum, der Mensch und seine Interaktion mit der Umgebung. Weiss’ Kunst, seine Bauwerke, stellen analoge Treffpunkte dar, die etwas auslösen und die berühren sollen. Wird es wegen der Musik beim Grill Lärmklagen geben? Kommt es zu Littering? Klaut jemand gar die Pétanque-Kugeln? Und was wird an der „schwierigen Ecke“ am Bahnhof passieren? Mitten in diesem Gewusel von ankommenden Reisenden, Wartenden und rauchenden BusfahrerInnen werden dem Kunstkasten zwei Spiegel aus Chromstahlblech verpasst, die das Durcheinander noch verdoppeln. Aber sie verwandeln den Kasten gleichzeitig auch in eine Art Boudoir, das die Menschen innenhalten lässt und den Narzissmus in der einen oder dem anderen hervorlockt. Wer wird dem eigenen Spiegelbild einen verstohlenen Blick zuwerfen, vielleicht gar noch schnell die Frisur zurechtrücken?
Weiss’ Werke, oder zuweilen besser: seine Bauten, regen zum Entdecken neuer Dimensionen des Raums und des Selbst an. Sie bieten Platz zum Verweilen. „Das ist jetzt keine grossartige Aussage, aber ich möchte einen Ort schaffen, den es noch nicht gibt“, sagt er. 2015 fasste er in Môtier einen Dorfbrunnen mit einer Holzkonstruktion ein, welche den Brunnen zu einem kleinen Bad umfunktionierte und zum erfrischenden Tauchen lud. In Vevey versah er 2014 einen wunderschönen Kastanienbaum mit einer Art Baumhaus, über welches man in die magische Welt der Baumkrone eintauchen konnte. Da Weiss’ Bauten viel aushalten müssen, baut er sie robust. Er bevorzugt einen massiven Holzbalken, dem man seine ganze Kraft ansieht, einer ausgefeilten Schweiss-Technik. Wichtig scheint in erster Linie die Stabilität, erst dann kommt die Ästhetik und bescheiden (und sicher nicht ganz treffend) meint Weiss: „Meine handwerklichen Fähigkeiten reichen eben nur für eine tiefe Ästhetik…“.

Reaktionen provozieren
Der Austausch mit dem Menschen scheint für Weiss nicht erst beim Werk selbst zu beginnen. Schon in der Planungsphase ist die Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden wichtig. In Schaffhausen hat er diese Vorbereitungen als sehr konstruktiv empfunden. Insbesondere in grösseren Städten wie Zürich sei es aber gar nicht immer so einfach, wenn man nie an die eigentlichen EntscheidungsträgerInnen gelange. Zudem sei die gängige Vorstellung, KünstlerInnen könnten nicht robust bauen und würden dilettieren, nicht gerade hilfreich, lacht Weiss.
Als wunderbar bezeichnet der Künstler nicht zuletzt den Austausch mit den Menschen, der während des Aufbaus der Werke stattfindet. Zwei Wochen baut er in Schaffhausen seine Werke auf und erhält dabei Unterstützung von seinem Schüler Christophe Schneider. In dieser Phase stellt sich Weiss neugierigen Fragen und wird gar Teil eines Dorfes oder einer Stadt. Manchmal so sehr, dass er sich ein dickes Fell zulegen musste. So fanden sich Weiss und seine Werke schon auf einer Fasnachts-Plakette und in einer Schnitzelbank wieder. Wenig schmeichelhaft hielten die FasnächtlerInnen in Möhlin fest: „Me findet de neui Kunschttrend scho e chli hohl.“
Weiss exponiert eben nicht nur seine Werke, sondern auch sich selbst. Er nimmt’s gelassen. Es gehört zum Arbeiten im öffentlichen Raum, wo die Schwelle zur Auseinandersetzung mit der Kunst gering sein soll. Bei der Vorstellung, in der Abgeschiedenheit eines Ateliers für sich allein zu arbeiten, scheint sich etwas in Weiss zu sträuben. Entsprechend abrupt beendete er 2004 auch seinen erfolgreichen Ausflug in die Malerei. Er hat sich nie als Maler gesehen, das „reale“ Leben ist ihm lieber.

Ausbruch aus der Kommunikations-Ecke
Während sich bei allen Werken in der einen oder anderen Form ein Sockel wiederfindet, unterscheiden sich drei Kästen inhaltlich etwas von den anderen; mit ihnen bricht Weiss aus der „Interaktion-Kommunikations-Ecke“ aus. Der Holzturm bei Kasten Nummer drei ist weniger erfahrbar als eher ein Sehnsuchtsort. Der Kasten an der Vordergasse unter dem Bock, für Weiss gleichzeitig der spannendste und unlogischste Standort, spricht mit dem Baumstumpf eine sehr skulpturale Sprache. Und auch die Flagge, die unter der Eisenbahnbrücke weht, fällt in erster Linie durch ihre starke Symbolik auf.
Der architektonische Aspekt in Weiss’ Bauten in Schaffhausen ist schnell ersichtlich. Teil seiner Arbeit ist, dass sich der künstlerische Aspekt erst im Laufe der Zeit ergibt. Mit ihren Reaktionen auf die neue Kunstkastenstaffel werden die BetrachterInnen Weiss’ Werk mitgestalten.

VERNISSAGE

MUSEUMSNACHT

16. September 2017, Grillen beim Pop-Up 6

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