30. Juni – 22. September
KASTEN 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6
TAMINO KUNY UND JULIAN WÄCKERLIN
SCHAFFHAUSEN.VIRTUELL
schaffhausen.virtuell ist eine fiktionalisierte Recherche über das virtuelle Schaffhausen.
Die beiden Architekturstudenten Tamino Kuny (1993, Luzern) und Julian Wäckerlin (1990, Schaffhausen) interessiert, wie globale Technologieunternehmen die Kontrolle über die Stadt übernehmen und so den Alltag im urbanen Raum verändern. In den Kunstkästen stellen sie ortsspezifische Schaffhauser Realitäten in einen Bezug zu global operierenden Apps, wie wir sie alle in unseren Smartphones herumtragen und tagtäglich nutzen. Kuny und Wäckerlin kreuzen, paaren, mischen, überlagern effektive und virtuelle Realität und erzeugen Fiktion. Die Kunstkästen werden zu eigentlichen Hybriden:
Kunstkasten 1: altstadt.cloudvision
Kunstkasten 2: hauszum#hauszumritter
Kunstkasten 3: allerheiligen.appletv
Kunstkasten 4: oase.airbnb
Kunstkasten 5: weidling.primeair
Kunstkasten 6: lindli.tinder
Tamino Kuny (*1993, Luzern) studierte Architektur an der ETH Zürich.
Seine Masterarbeit von 2019 trägt den Titel strategy witty city (Strategie witzige Stadt). Er formuliert darin eine Gegenposition zum blue print smart city (Blaupause smart city), mit der globale Technologieunternehmen die Kontrolle über die Stadt übernehmen. Sein momentanes Interesse liegt beim Text als architektonisches Werkzeug.
Link zur strategy witty city:
https://youtu.be/2Z9pFWG0Ap4
Links zu einer gemeinsamen Arbeit mit Julian Wäckerlin und weiteren:
https://www.instagram.com/p/BtRFlIGjpjl/?utm_source=ig_web_copy_link
https://www.instagram.com/p/BtQtYpvD2v3/?utm_source=ig_web_copy_link
https://www.instagram.com/p/BtOWRZ0Dip/?utm_source=ig_web_copy_link
Julian Wäckerlin (*1990, Schaffhausen) ist ausgebildeter Hochbauzeichner und studiert Architektur an der ETH Zürich.
Mit der im Studium entstandenen TV-Serie World One entwirft er ein Szenario, in dem jede Erdbewohnerin gleich viele Ressourcen zur Verfügung hat: The world was divided into equal parts. Everybody owns the same. Sein momentanes Interesse liegt beim Film als architektonisches Werkzeug.
Link zu World One:
https://space-time.tv/archive/station-plus/ROuZmTFZj9g
Links zu einer gemeinsamen Arbeit mit Tamino Kuny und weiteren:
https://www.instagram.com/p/BtRFlIGjpjl/?utm_source=ig_web_copy_link
https://www.instagram.com/p/BtQtYpvD2v3/?utm_source=ig_web_copy_link
https://www.instagram.com/p/BtOWRZ0Dip/?utm_source=ig_web_copy_link
Bericht über ein Gespräch mit Tamino Kuny und Julian Wäckerlin, 6. Juni 2019.
Von Cornelia Wolf
schaffhausen.virtuell
Tamino Kuny und Julian Wäckerlin haben sich im Architekturstudium an der ETH Zürich kennen gelernt. Unter Architektur verstehen die beiden in einem erweiterten Sinne alles, was Teil des gebauten und nicht gebauten Raumes ist. Dazu zählen auch Apps und Akteure wie Google, Instagram, Apple, Airbnb, Amazon und Tinder. Als durchaus kritische Nutzer dieser Apps interessiert sie besonders, wie globale Technologieunternehmen die Kontrolle über die Stadt übernehmen und so den Alltag im urbanen Raum verändern. „Wir hinterlassen immer eine virtuelle Spur, ob wir von einer Überwachungskamera erfasst werden oder ob wir ein Selfie auf Instagram posten. Uns beschäftigt, wie Konzerne, die bestimmte Apps beherrschen, uns und unser Leben verändern.“
Überwachung, Repräsentation, Religiosität, das Zuhause, Logistik und Romantik sind die Themenfelder, die Kuny und Wäckerlin für die Bespielung der Kunstkästen auf lokale Gegebenheiten im örtlichen Umfeld der Kunstkästen übertragen. Die Altstadt als Ganzes, das Haus zum Ritter, das Kloster Allerheiligen, ein Neubau am Rhein, ein Weidling und das Lindli sind als Schaffhausen-spezifische Realitäten Ausgangslage für ihre virtuellen Spielereien.
Jeder der gewählten realen Orte wird konfrontiert mit einer virtuellen App, wobei Ort und App immer aufeinander abgestimmt sind. Man betrachtet das reale Schaffhausen sozusagen durch eine virtuelle Brille. Dargestellt wird das Ganze mittels Glasscheiben, die unterschiedlich gross sind und in Schichten leicht schräg an die Rückwand der Kästen angelehnt und/oder in die Kästen gelegt werden. Die Glasscheiben sind jeweils mit einer Zeichnung, einem Bild oder einem Text bedruckt. In ihrer Überlagerung kreuzen sich ortsspezifische und virtuelle Realität, das Ganze grenzt ans Fiktionale.
Zur Veranschaulichung der komplexen Theorie zwei konkrete Beispiele:
Die ortsspezifische Realität im Kunstkasten 2 an der Vordergasse ist das „Haus zum Ritter“. Dessen originale Renaissancefresken wurden 1935 abgelöst und konserviert. Nur dadurch konnten sie erhalten werden. Seither sind sie im Museum zu Allerheiligen ausgestellt. Die heutigen Malereien an der Hausfassade wurden auf der Grundlage der Originale neu erstellt. Im Kunstkasten ist auf einer Glasscheibe die Fotografie eines Original-Fragments zu sehen. Auf einer weiteren Glasscheibe haben Kuny und Wäckerlin hunderte von Handybildern, die vom „Haus zum Ritter“ auf Instagram gepostet wurden, gerendert (mittels Computerprogramm neu zusammengefügt) und haben – ohne je selbst ein Foto des Hauses gemacht zu haben – ein neues Bild entstehen lassen, das nennt sich Photogrammetrie.
Eine weitere Glasscheibe mit Text zeigt eine Liste von Hashtags, die das „Haus zum Ritter“ mit ähnlichen Bildern oder Themen verknüpfen. „Durch die Intensität dieser Fiktionalisierung, durch die krasse Gegenüberstellung von lokal-global, wird eine Diskussion angeregt“, ist Julian Wäckerlin überzeugt.
Im Kunstkasten an der Goldsteinstrasse finden wir auf einer ersten Glasscheibe die ortsspezifische Realität, eine Abbildung des „Grossen Gottes von Schaffhausen“, eines kolossales Kruzifix aus Holz, das bis 1529 im Kloster Allerheiligen Ziel vieler Pilger war und in der Reformation verbrannt wurde. Diese Reliquie wird in einem gewagten Sprung gekreuzt mit dem blutjungen Werbespot für apple TV+, den Kuny und Wäckerlin mit einem dramatischen, barocken Himmel hinterlegt vorfinden und damit die fast schon sakrale Ausstrahlung des Applekonzerns betonen. Dazu gibt es als Text „Alles sehen. In einer App“. Nicht mehr Gott ist der alles Sehende, alles Wissende, sondern wir alle mittels heutiger Technologien. „Diese Signete und die Bildersprache werden die Aufmerksamkeit anziehen und auch irritieren“, sind sie sich bewusst.
Ein weiterer Kasten thematisiert die Überwachungskameras in der Altstadt. Kuny und Wäckerlin: So wie Leute von Kameras überwacht werden, werden auch Orte überwacht, indem sie tausendfach auf privaten Touristenbildern existieren und auf irgendeiner Plattform gepostet werden. Sie werden sozusagen von einer lokalen auf eine globale Ebene gehievt und das verändert einen Ort. Technologiefirmen wie google haben etwas entwickelt, was extrem mächtig ist. Millionen von Usern liefern mit der Nutzung von Applikationen Daten, die zur Währung der Macht werden. So plant google in Toronto den Bau eines perfekt vernetzten Stadtteils; vielleicht nicht, indem es Kranen auffährt, aber indem es Infrastruktur für eine „Smart City“ zur Verfügung stellt. Etwa für ein Verkehrssystem, das die Daten von Smartphones, Sensoren und Kameras nutzt, um die besten Verkehrsrouten zu bestimmen – nie wieder Stau, keine Warterei und weniger Verkehrstote, aber auch keine Störungen, zufälligen Begegnungen und Demonstrationen mehr.
Huxleys Fiktion ist nicht mehr virtuell, sondern bereits Realität. Womit der Kreis um die Kunstkästen geschlossen ist.
Die Kunstkästen an der Museumsnacht
In der Museumsnacht wird die Arbeit um eine fiktionale Ebene erweitert: Tamino Kuny und Julian Wäckerlin erzählen Märchen zu den Kunstkästen.
https://www.museumsnacht-hegau-schaffhausen.com/haeuser/kunstkaesten-sh/
VERNISSAGE
PRESSE / DOKUMENTATION